Auf der Seine nach Paris

 

Zwei Tage bleiben wir in Le Havre. Den ersten nutze ich für einen Genusseinkauf im Super U und wir versuchen zu tanken. Geht aber nicht, denn in dieser so genannten „Metropole Maritime“ Le Havre akzeptiert die automatisierte Bootstankstelle keine ausländischen Kreditkarten.

Am 2. Tag klingelt morgens um 05.45 Uhr unser Wecker, weil wir eigentlich quer über die Seinemündung ins 12sm entfernte Honfleur fahren wollen. Wegen der starken Strömung gibt es nur ein schmales Zeitfenster, in dem man in die Schleuse und durch die anschließende Brücke ins Vieux Bassin von Honfleur kommen kann. Nur leider ist pottendichter Nebel, da können wir weiterschlafen. An diesem für uns typischen Boots“ruhe“tag wird heute die neue Tiefkühlung eingebaut. Sieht klasse aus und funktioniert auf Anhieb.

Am 25.04.2013 schaffen wir es dann, die breite Mündung der Seine zu überqueren. Mit dem Navigationsgerät sind wir noch nicht so vertraut, die Sicht ist diesig, der Strom stark und es gibt viele Flachs und Sandbänke, die umfahren werden wollen. Aber wir finden die richtige Tonne und sind leicht erschöpft mittags in Honfleur.
Uns wird ganz blümerant ums Herz, denn vor fast genau 40 Jahren fing hier alles an: Auf einem Zelturlaub durch die Normandie besuchten wir auch diesen Ort. Auf einem alten Holzsegler lag in der Plicht ein Stillleben aus einer gekochten Languste und einer Kneifzange. Boot mit Kajüte und gutes Essen: Von Stund‘ an beschlossen wir, mit der Fahrtensegelei zu beginnen. Dank der großzügigen finanziellen Hilfe von Jörns Eltern konnten wir schon ein Jahr später, 1974, unser erstes Boot kaufen. Wir nannten es Honfleur, nach dem Ort, in dem die Idee geboren worden war. Nie hätten wir damit gerechnet, hier mal auf eigenem Kiel zu landen.P1040315

Wir sitzen in der Plicht, können es kaum fassen und genießen den unglaublich pittoresken Rundumblick auf die schmalen alten Häuser. Honfleur mit seinen vielen Lokalen am Hafen und unzähligen kleinen Galerien in den Gassen ist noch genau so schön wie damals. Hier gelandet zu sein entschädigt uns etwas für die Anstrengungen der letzten Tage. Es sind zwar Touristen unterwegs, aber um diese Jahreszeit noch in Maßen. Ich schaue mir die Galerien an. Sie versuchen den Balanceakt zwischen Markterfordernis (im vorderen Teil) und  genialer Kreativität (im hinteren Teil). Wir feiern das Ereignis hier zu sein mit einer monumentalen Fruits de Mer-Platte im Restaurant.

355 Kilometer sind es auf der Seine bis Paris. Der Fluss ist nur an wenigen Stellen begradigt worden. So fährt man in großen Schleifen mit vielen Nebenarmen und kleinen Flussinseln mal am linken, mal am rechten Ufer, je nach Strömung. 110 km flussaufwärts von Honfleur liegt Rouen. Bis hierher ist die Tide noch deutlich spürbar, daher fahren wir bei Niedrigwasser los und haben bequeme 6kn Strom „mit“. In Rouen bleiben wir einen Tag, um uns die Stadt und besonders die Kathedrale anzuschauen.
Kurz hinter Rouen liegt die erste Schleuse und wir haben die Tidengewässer hinter uns, wie schön! War die Uferlandschaft mit wundervollen alten Fachwerkhäusern anfangs noch deutlich von der See beeinflusst, wird sie jetzt immer lieblicher und grüner. Es sind romantische Fahrten zwischen Wiesen, Dörfern und Kreidefelsen. Kein Wunder, dass hier so viele Flusskreuzfahrtschiffe unterwegs sind. Wir finden lauschige Plätzchen im Nebenfahrwasser, mit Enten, brütenden Schwänen, Raben, Reihern, Teichhühnern, echten und Bisam-Ratten. Paula liegt bis spät abends an Deck und genießt das tierische Treiben an der Uferböschung.
An ein paar Orten müssen wir leider vorbeifahren, weil die Häfen gesperrt sind (keine Besichtigung der Burg von Richard Löwenherz) oder die Anleger zu flach und gefährlich (keine Besichtigung der Gärten von Monet…). Dafür landen wir ungeplant in Limay mit Blick auf eine berühmte alte Brücke, die Corot gemalt hat (das Bild hängt im Louvre).P1040360

Die Farben der Seine und der Häuser, das frische Maigrün in den Parks: Jetzt weiß ich, wie so manches Gemälde der Impressionisten entstanden ist. Es gibt hier kaum einen Ort, der sich nicht rühmen kann, auf einem der Bilder verewigt worden zu sein.

Eigentlich hatten wir nach dem Verlassen der Tidengewässer mit ruhigem Fahren gerechnet, der Strom auf der Seine war in den schlauen Büchern mit 2km/h angegeben. Wir wundern uns daher sehr, dass wir nach der Schleuse in Rouen kräftige 5km/h Gegenstrom haben. Er wird sogar immer stärker, je weiter wir stromaufwärts kommen. Da wir die Seine nicht kennen denken wir, das muss so sein. Auch in den Häfen sagt uns niemand, dass wir inzwischen kräftig steigendes Hochwasser haben.
Unsere letzte Station vor Paris ist ein kleiner Schwimmsteg bei Malmaison. 100m gegenüber, auf der Insel Chatou, liegt ein malerisches Lokal, das mir enorm bekannt vorkommt. Und richtig: Renoir hat auf dem Balkon des Maison Fournaise sein berühmtes Bild „Frühstück der Ruderer“ gemalt. Ich hatte darüber einen ganzen Roman gelesen („Sonntage im Licht“). Ein irres Gefühl, nun genau dort zu liegen und alles in Ruhe betrachten zu können, der Balkon sieht noch genauso aus wie zu Renoirs Zeiten.P1040361
Die Fahrt durch Paris wird nicht gerade eine Sightseeing-Tour. Wir hatten, optimistisch wie wir sind, Filmkamera und Fotoapparat bereitgelegt. Aber ausgerechnet bei der Einfahrt nach Paris beginnt es in Strömen zu gießen. Die Persenning müssen wir wegnehmen und den Geräteträger legen, weil die Durchfahrtshöhen unter den zahlreichen Stadtbrücken wegen des Hochwassers zu gering sind. Somit sitzen wir ungeschützt im Freien. Die ganze Zeit müssen wir höllisch aufpassen.  Der Gegenstrom ist bis zu 10km/h stark und unter den Brücken ist rafting angesagt, die Berufsschifffahrt und Ausflugsdampfer müssen beachtet werden, um die Île de la Cité läuft der Verkehr nach einem Zeitplan. Wir sind also vollauf beschäftigt uns einen Weg zu bahnen, und den Eiffelturm nehme ich nur nebenbei wahr.

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Der einzige Yachthafen in Paris nimmt keine Reservierungen an und gilt eigentlich immer als vollbelegt. So waren wir etwas in Sorge, weil es zum Port de l‘Arsenal in der Stadt keine Alternative gibt. Die kleine Schleuse, die in den Hafen führt, streikt wegen des Hochwassers und muss erst repariert werden. Eine gute Stunde liegen wir recht bumpy, wie Philip zu sagen pflegte, an der Steinpier auf der unruhigen Seine.P1040376
Aber letztlich bekommen wir den allerletzten guten Liegeplatz im geschützten Port de l‘Arsenal zwischen einem Australier und einem französischen Künstler auf einer buntbemalten Péniche. Der  Hafen hat eine nette Atmosphäre, er liegt direkt an der Bastille mittenmang der Stadt in einem Canal.  Dieser führt durch einen 2km langen Tunnel unter der Stadt hindurch und quert den Osten von Paris, die Kanaltouren sind bei Touristen sehr beliebt.

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Um den ganzen Port herum baut oben gerade ein riesiger Antiquitätenmarkt in weißen Zelten auf, uns gegenüber ist ein schöner kleiner Park, gut für Paula und hübsche  Aussicht abends aus der Plicht. Nachts ist es dadurch, dass der Port so niedrig liegt, himmlisch ruhig, und auch am Tag ist man vor dem Lärm der Stadt gut geschützt.
Hier sitzen einige Motorbootfahrer seit Tagen wegen des Hochwassers fest, wir werden gleich nach der Ankunft beäugt und befragt, wie schlimm es denn auf der Seine war. Aber: Einen schöneren Platz, bessere Bedingungen abzuwarten  gibt es nicht: Traiteur, Boulangerie, Käse- und Weinläden und viele Gemüsestände sind ganz in der Nähe, und wir können sogar zu Fuß zur Notre Dame gehen.
Unser Sohn John besucht uns für eine Woche und wir erlaufen gemeinsam ausgiebig diese wunderbare Stadt. Wir fahren mit Paula sogar in der Metro, obwohl das wohl offiziell nicht gestattet ist.
In einer belebten engen Kneipengasse am Hafen wollen wir abends einen Cocktail trinken und betreten eine kleine Dschungelbar, die mit großen, üppig wuchernden Pflanzen und grüner Beleuchtung enorm interessant und einladend wirkt. Durch einen engen Gang landen wir in einer völlig verräucherten Höhle, in der glasig lächelnde Gestalten in den Sesseln liegen.  Ups, hier sind wir völlig falsch. Allein vom Atmen würde man high werden. Da gehen wir lieber ein paar Häuser weiter in eine große Kubanische Bar und fühlen uns bei Life Musik wie in Havanna.

10 Tage verbringen wir in Paris. Diese Unterbrechung können wir zum Luftholen gut gebrauchen, denn bis zum Mittelmeer liegen noch 1000km und über 150 Schleusen vor uns. In Chalon werden wir die Saône und damit bekanntes Revier erreichen, aber die schleusenreichen Kanäle davor sind für uns Neuland.

 

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